Auktionshäuser gelingt es immer wieder mit ihren Losbeschreibungen das Wesentliche zu umschreiben und den Kern der Aussage damit zu umgehen, wie in der März Auktion bei Hampel:

 

 

 

Florentinischer Maler des 16. Jahrhunderts

DIE HEILIGE FAMILIE MIT DEM JESUSKNABEN UND DER HEILIGEN ANNA

Öl auf kräftiger Nussholzplatte.
60 x 46,5 cm.
Mit Einschubleisten.

Sowohl im kompositionellen Bildaufbau als in der Farbgebung lassen sich hier Werke von Raffael als Vorbilder erkennen. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Interaktion der hier gezeigten Kindergestalten, die, zusammen mit der jungen Maria, einen deutlichen diagonalen Aufbau von links unten nach rechts oben erkennen lassen.

 

Der Text lässt sich noch weiter über den Aufbau des Bildes aus, doch wäre es vom Auktionshaus fair gewesen nicht von irgendwelchen diffusen Vorbildern (plural) zu sprechen sondern mitzuteilen, daß es ein ganz konretes Vorbild (singular) gibt. Das Vorbild stammt (möglicherweise) von Raffael und wurde darüber hinaus noch ziemlich häufig kopiert.

 

Das ist aber noch nicht alles, denn es wird nicht einfach eine „Heilige Familie“, dargestellt, nein; die Darstellung hat ihren eigenen Namen und heißt „Il madonna del divino amore„, also „Die Madonna von der göttlichen Liebe.“ Aufbewahrt wird es heute im Museo del Capodimonte in Neapel:

 

Bild: Neapel, Museo di Capodimonte, MuseiD-Italia / Collezione Farnese, Identificatore: work_72148

 

Aber: Bevor ich den Stab über dem Bild breche und es als simple „Kopie“ verdamme, sei vorher noch einmal genauer hingeschaut. Denn so einfach liegt der Fall nicht. Der Begriff „Kopie“ beinhaltet ja, daß man sich sklavisch genau an das Vorbild hält und ja nicht davon abweicht. Hier jedoch ist das nicht der Fall. Man beachte nur einmal den Hintergrund.

 

Und auch wenn die Vergleichsabbildung etwas bescheiden ausfällt, dann merkt man trotzdem auf den ersten Blick gleich, daß bei dem Hampelbild der Hintergrund viel „luftiger“ aussieht. Dort hat man wesentliche Teile der Architetkturszenerie weggelassen. Damit entsteht der Eindruck, daß Maria und Konsorten in einer sich weit ausdehnenden Landschaft sitzen.  Im viel bekannteren Vorbild in Neapel hingegen bestimmt die Architektur das Bild. Man kann sich sicherlich darüber streiten, was jetzt einem besser gefällt; persönlich gefällt mir das Hampel-Bild besser, denn die Architektur kommt mir eher wie ein heiteres Acessoir vor, das sich zufällig in der Landschaft verirrt hat oder welches man in einem barocken Landschaftsgarten als „künstlich erbaute antike Ruine“ erwarten würde.

 

Falls Ihnen das mit den Ruinen als Unterscheidungsmerkmal nicht so richtig überzeugt, dann aber bestimmt die Palme. Denn diese ist ein nicht ganz alltägliche Darstellung in einem Bild aus dem 16. Jh. Jetzt kann man sich fragen, wie man auf so etwas kommt. Nun gibt es einen Stich von Marcantonio Raimondi, der im Zusammenhang mit dem Bild in Neapel gerne zitiert wird, und den schönen Namen „Madonna della Palma„, also die „Madonna von der Palme“ trägt. Hier der Link zum Exemplar des British Museum in London:

 

https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1868-0822-32

 

Daraus ergibt sich jetzt die Frage: Speist sich das Hampel-Bild womöglich aus zwei Bildideen, also aus zwei mach eins?  Geht so etwas? Nun, es ist recht unwahrescheinlich, daß hier ein Bild und ein Kupferstich sozusagen miteinander „verheiratet“ wurden. Dafür sind die kompositorischen Unterschiede in der Wiedergabe der Darstellung im Vergleich zum Kupferstich einfach zu groß. Vergleicht man einmal mehr die beiden Palmen miteinander, dann sehen sich die beiden auch nicht richtig ähnlich. Während beim Kupferstich die Palme prominent ins Bild gestellt ist, käme im Hampel-Bild der hl. Joseph ohne sie an seiner Seite auch gut zurecht. Kommen wir jetzt aber mal auf den Verfasser des Kupferstichs, Marcantonio Raimondi, zurück.

 

Marcantonio Raimondi hat gefühlt jeden Kupferstich im Italien des 16. Jh. gestochen und nicht nur Raffael sondern auch andere Künstler seiner Zeit mit seinen Druckwerken „unter das Volk“ gebracht. Dabei hat er sich im großen und ganzen stets an seine Vorbilder gehalten. Bisher galt, daß Raimondi sich für seine „Madonna della Palma“ selbst gedanken gemacht hat und lediglich die Figurengruppe kopierte. Diese Annahme ist durch das Auftauchen des Bildes jetzt zumindest in Frage gestellt. So gab es wohl doch schon eine bildliche Vorlage mit Palme an der er sich orientierte.

 

Wie ich oben bereits andeutete, ist die Autorenschaft des Bildes in Neapel umstritten. Das Museo di Capodimonte hätte das Bild gerne als echten Raffael in der einschlägigen Literatur zum Künstler gelistet, aber viele Kunsthistoriker tendieren eben dazu es als eine Werkstattarbeit zu sehen oder es gleich Gian Franco Penni zuzuschreiben. Penni war dafür bekannt Kartonvorlagen für Raffael zu erstellen, die dann in Bilder umgesetzt wurden. Nun exisitert just eben eine 1:1 Darstellung auf Papier für die Figurengruppe der „Madonna del divino amore„, deren Zuschreibung an Penni als gesichert gilt, was uns nun zum Autor des Bildes bringt.

 

Das Bild wurde auf alle Fälle von einem Künstler gemalt, der intime Kenntnisse von Werksprozess in der Raffael-Werkstatt hatte. Wahrscheinlich hatte er somit auch zu den Kartons der Bilder zugang. Nun muss man sich die Kartonvorlagen nicht unbedingt als fertige Bilder vorstellen, sondern vielmehr als einzelne Versatzstücke, die nach belieben neu kombiniert und somit zu unterschiedlichen Kompositionen zusammengesetzt werden konnten. Dies ist offensichtlich hier passiert.

 

Nun ist Raffael nicht unbedingt bekannt so offensichlich Bildideen zu „recyceln“, aber eher weniger ideenreiche Mitarbeiter wie Giovanni Francesco Penni. Der italienische Wikipedia-Artikel zu ihm listet ein – von der Komposition her – gut zu vergleichendes Bild  im Louvre auf. Es trägt den Zusatz „attributo al Penni su disegno di Raffaelo“, also „Penni zugeschrieben auf Vorlage einer Zeichnung Raffaels“. Das trifft es eigentlich ganz gut.

 

Wie man unschwer erkennt, ist auch dieses Bild recht „luftig“ gestaltet mit einer Aussicht auf eine Landschaft mit Gebäuden im Hintergrund und einer Ruine. Kommt uns ja irgendwie bekannt vor!

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15708022

 

 

Zur Autorenschaft soll am Ende der bekannte Raffaelkenner Konrad Oberhuber das Wort haben, der in seinem Buch zu den Zeichnungen Raffaels schrieb: „Hat Raphael nur Giulio und Penni als Schüler gehabt? Viele andere haben in seiner Werkstatt gearbeitet. Keiner aber hat wie dieser beiden an seinem Entwurfsprozeß mitgewirkt (…).  (Konrad Oberhuber, Späte Römische Jahre, in: Raphael, Die Zeichnungen, S.142). Somit hätte das Auktionshaus Hampel bei seiner Beschreibung nicht unbedingt derart zurückhaltend auftreten brauchen; zwar wäre damit die Frage um die Autorenschaft auch nicht geklärt worden, aber eine präzisere Beschreibung des Bildes hätte auch nicht geschadet für eine Kaufentscheidung. Und dem soll auch nichts mehr weiter hinzugefügt werden.