In der Kunstgeschichte stellt Jan van Goyen ein weites Feld dar, was heißt: Es gibt so viele Bilder dort draußen auf dem Kunstmarkt, daß man den Überblick darüber schon so ziemlich verloren hat. Trotz Werksverzeichnis tauchen in regelmäßigen Abständen genügend neue Bilder auf, die wie Jan van Goyen aussehen und für die es auch ansonsten schwer wird alternative Zuschreibungen zu finden. Das letze, immer noch ausschlaggebende Werksverzeichnis stammt von Hans-Ulrich Beck und wurde 1973 veröffentlich bzw. vom Autor 1987 nochmals aktualisiert. Für die Kunstgeschichte sind dreißig Jahre kaum eine Zeitspanne, auch wenn man das in unserer kurzlebigen Zeit kaum annehmen mag. Daher ist es umso erstaunlicher, daß für folgendes Bild, daß beim Auktionshaus Historia in Berlin versteigert wird, keine Literaturangaben vorhanden sind. Schließlich lässt sich die Provenienz des Bildes bis in die Mitte des 20. Jh. zurückverfolgen:

 

Bild: Historia Auktionen, Berlin

 

Jan van Goyen (1596-1656), Hauptvertreter der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jh., “The Ruins of Merwede“, Flußlandschaft mit Fischern und Turmruine, Öl auf Eichenholz, unsign., u. re. kleiner Eckabbruck, verso alte Inventarnummern, sowie Etiketten mit Provenienzangaben: “Collection Duits, London 1947“, “Coll. R.A. Constantine“, ausgestellt in der “Municipal Art Gallery Middlesbrough 1949“, und “Scarborough Municipal Art Gallery Dutch Festival 1960“, 21,5 x 25 cm, ger. 37 x 40 cm

 

Fangen wir mit der entzückenden Darstellung an. Die Dargestellte Ruine dominiert das gesamte Bild, auch wenn sie ganz am linken Bildrand positioniert ist. Sie zeigt das Huis te Merwede, in der Nähe von Dordrecht. Es liegt am gleichnamigen Fluß Merwede, der Teil des Rhein-Maas-Deltas bildet. Gebaut um 1350, kam es 1421 zu einer großen Flut auf dem Gebiet der heutigen Niederlande. Das als „Elisabethenflut von 1421“ bekannt gewordene Ereignis bewirkte, daß die dargestellte Burg sich plötzlich von Wasser umgeben wiederfand, verlassen wurde und langsam verfiel. Als „wiedererkennbares Motiv“ wurde es immer wieder gerne auf Bildern verewigt. Allein Jan von Goyen hat es ungefähr ein halbes Dutzend mal aufgegriffen. Jedoch wird es nicht bei Hofstede de Groot erwähnt, der als erster 1923 ein Werksverzeichnis zu Jan van Goyen verfasst hat. Und dieser bringt es immerhin auf über 1200 Nr!

 

Wesentlich ergibieger sind die Provenienzhinweise auf der Rückseite: Sie erzählen die Geschichte wo sich das Bild seit der Mitte des 20. Jh. so aufgehalten hat: Mit „Collection Duits, London 1947“ ist keine Sammlung gemeint, sondern die „Duits Gallery“, ein Kunsthandel, der von 1920 – 1985 in London ansässig war bevor das Geschäft aufgegeben wurde. Deren Verkaufs- und Finanzunterlagen haben sich erhalten und liegen heutzutage im Getty Research Institute in Los Angeles. Bestimmt wäre es möglich die Provenienzangabe über 1947 zu erweiteren, jedoch wäre das ein kostspieliges Unterfangen: Man müsste dafür extra in die U.S.A. fliegen um die Unterlagen einzusehen. Immerhin weiß man aber auch ohne sich solche große Umstände, an wen das Bild dann verkauft wurde.

 

Die Duits Gallery verkaufte das Bild an „R(obert) A(lfred) Constantine“ aus Middlesbrough, einem Reeder mit offensichtlichem Interesse an maritimen Darstellungen. Dieser war es dann auch, der das Bild in der Städtischen Kunstgalerie zwei Jahre später ausstellen ließ (Municipal Art Gallery Middlesbrough 1949). Elf Jahre später war das Bild beim „Dutch Festival“ der Städtischen Galerie von Scarborough mit von der Partie. Die Bilder stammen einmal wieder mehr von Herrn Constantine. Zu beiden Ausstellungen wurden jeweils auch ein Katalog herausgegeben. Seit seinem Tod 1969 wird die Sammlung, die er zusammentrug, von seinen Erben sukzessive über Auktionshäuser Christie’s an den Sammler gebracht. Ein Schicksal, das viele Sammlungen erleiden, wenn die Erben sich nicht dafür interessieren oder einfach das Geld brauchen. Hier zwei Bilder, von denen das erste schon 1971 zur Auktion gelangte, das zweite erst 2016. Ersteres erzielte knapp 800.000 Euro, während beim letzteren schon bei 2000 Euro der Hammer fiel:

 

 

Balthasar van der Ast, Die ‘Zomerschoon’ Tulpe; signiert ‘· B · van der · Ast ·’ (rechts unten) Öl auf Holz, 26.5 x 20 cm; Bild: Christies

 

 

Während das erste durch seine Signatur kein Zweifel lässt, daß es ein Meisterwerk ist, ist beim zweiten schon die Erwähnung des Namens „Rembrandt“ schon recht sportlich:

 

Nach Rembrandt Harmensz. van Rijn; Selbstportrait, Kopf und Schulter; Öl auf  Holz 27 x 20.7cm; Bild: Christie’s

 

 

 

Ein Strauß ganz unterschiedlicher Qualitäten an Bildern also, die in dieser Sammlung vertreten waren. Von teuer bis zweifelhaft, eben was gefallen hat. Und in dieses Spektrum passt auch das nun in Berlin zu versteigernde Bild hervorragend rein. Leider war es mir nicht möglich bedingt durch die Corona-Krise einen Blick in das Werksverzeichnis zu Jan van Goyen zu werfen. Doch gehe ich einmal stark davon aus, es dort nicht zu finden sein wird. Nicht weil es Beck nicht gekannt hätte, nein; immerhin war es zuvor schon in zwei Katalogen vor der Herausgabe des Werksverzeichnis publiziert worden, sondern einfach, daß er es van Goyen nicht zuerkannt hat.

 

Fazit: Trotz toller Provenienz fehlt die eindeutige Nobilitierung des Bildes als Jan van Goyen durch die einschlägige Literatur. Dies spiegelt ebenfalls der vorsichtige Preisansatz von 5000 Euro wieder, der für einen van Goyen ansonsten deutlich über 100.000 Euro liegen sollte.  Und trotzdem: Wer sich nicht um Zuschreibungen kümmert und einzig die Qualität in den Vordergrund stellt, der kann mit 5000 Euro ein gutes Bild erwerben, auch wenn es „nur“ Werkstatt oder Umkreis des Meisters ist.