Was ist eigentlich eine Kopie? Oder eine Werkstattarbeit oder der Umkreis eines Künstlers? In der Kunstgeschichte kommen diese Begriffe ja ständig vor. Und da es keine festgelegten Regeln für ihre Verwendung gibt, ist ihr Gebrauch recht verwirrend.
Auslöser zu diesen Betrachtungen ist folgendes Bild, welches beim Auktionshaus Metz in dessen Dezemberauktion verkauft wurde:
Maler des 18. Jh. „Noli me tangere“ Öl/Holz, gerahmt.
Eigentlich heißt der Titel des Bildes ja „rühr-mich-nicht-an“, doch auf deutsch würde der Titel mit „Christus als Gärtner“ übersetzt werden, was ja auch besser passt, schaut man sich das Bild mal genauer an.
Mit einer Datierung in das 18. Jh. liegt man allerdings knapp daneben; die feinen, gelängten Finger, die alle möglichen und unmöglichen Verdrehhungen machen, wirken doch sehr gekünstelt, was diesem Stil die abwertende Bezeichnung Manierismus eingebracht hat. Und da Manierismus in der Malerei ein anderer Begriff für Spätrenaissance ist, sind wir bei der Entstehung des Bildes nach 1600 angelangt. Einer der Hauptvertreter dieser Richtung nördlich der Alpen war Bartholomäus Spranger, der am Hofe Kaiser Rudolf II in Prag wirkte. Und genau auf ihn geht die vorliegende Darstellung zurück.
Natürlich wäre es eine kleine Sensation wenn es sich hier um ein Original von Bartholomäus Spranger handeln würde, doch – helas – gibt es für das Gemälde ein Vorbild. Es befindet sich heutzutage im Nationalen Kunstmuseum von Rumänien in Bukarest und ist auf 1591 datiert:
Richtig bekannt wurde das Bild durch Johann Sadeler, der das Gemälde in Kupfer stach. Hier das Exemplar, welches im Rijksmuseum in Amsterdam aufbewahrt wird:
Wem allerdings ein Kupferstich nicht genügte, der konnte das ganze eine Stufe weiter tragen und sich eine Kopie malen lassen. Dabei hatte der Auftraggeber zwei Möglichkeiten und zwar entweder das Bild
1.) nach der Originalvorlage
oder
2.) nach dem Stich
anfertigen zu lassen.
Ersteres hätte erfordert, daß man als Künstler vor Ort war, wo das Bild hing bzw. man wendete sich am besten gleich an den Werkstattbetrieb von Spranger. Beim Stich war man ortsunabhängig, allerdings mußte man bei den Farben improvisieren, denn Farbangaben lieferte der Stich nicht mit. Und hier sind wir auch schon bei den Unterschieden zwischen Originalvorlage und dem Kupferstich angelangt.
Interessanterweise haben sich derart viele Kopien der „Noli me tangere„-Darstellung erhalten, dass darüber erst vor kurzem eine Dissertation verfasst wurde. Das Thema lohnt sich also ausführlich behandelt zu werden. Beispielhaft dafür steht das Exemplar, welche das Historische Museum Frankfurt aufbewahrt wird.
Kommen wir aber zurück auf die Unterschiede bzw. wie man erkennt, ob ein Bild nun nach dem Kupferstich oder nach dem Originalvorbild gemalt worden ist:
1.) Das Format
Das Format des in Heidelberg versteigerten Bildes ist 32 x 23 cm und hat damit ungefähr die gleichen Maße wie der Stich mit ca. 30 x 20,5cm. Das Original hat die gewaltigen Ausmaße von 128,5 x 97,3cm und ist damit schon ganz schön imposant. Somit orientieren sich Bilder kleineren Formates eher am Kupferstich.
2.) Die Farbgebung
Bei vorliegendem Bild weichen die Farben deutlich vom Original ab. Beispielsweise ist der Umhang Christi blau während er beim Original eher ein „schmutzigrot“ aufweist. Das gleiche gilt für das Gewand der Maria: Dieses ist rot, im Original jedoch ein transparentes blau. Auch fehlen Schatten im Bild völlig. Das Original spielt geradezu mit der Verschattung einzelner Partien, doch lässt sich so etwas eben im Kupferstich nicht eins zu eins umsetzen. Das vorliegende Bild verzichtet daher wohl im großen und ganzen auf eine Verschattung.
3.) Die Details
Man möchte ja annehmen, daß in dem Bild schon genügend Details vorkommen. Aber nein; Sedeler war es für seinen Kupferstich noch zu wenig. Und so hat er im Hintergrund noch einen Kalvarienberg eingefügt, auf dem drei Kreuze zu sehen sind. Diese gibt es im Originalbild nicht. Der Kopist hat jedoch genau diese drei Kreuze auch in das Bild übernommen.
Begriffsfindung
Tja, Kopie ist nicht gleich Kopie, sondern da gibt es feine Unterschiede. Und gerade diese feinen Unterschiede sind es die Kunsthistoriker sich die Köpfe zerbrechen lassen, wie man Bilder bezeichnen soll, die nach unterschiedlichen Vorlagen gemalt worden sind: Wenn es nach dem Original gemalt wurde, ist es dann eine „Werkstattarbeit“, ein „Werk aus dem Umkreis des Meisters“, ist es gar eine „Replik“, also eine „Wiederholung“ ? Und wenn es nach dem Stich entstanden ist, spricht man dann von einer „freien Nachschöpfung nach“ oder im „Stil des Meister x,y“ ?
Vielleicht haben Sie bemerkt, daß ich den Begriff „Kopie“ gerade vermieden habe. Und tatsächlich geht es in erster Linie darum: Im Tagungsbericht des ANNK (Arbeitskreis für Niederländische Kunst und Kulturgeschichte) aus dem Jahre 2015 wird dies – wer hätte es gedacht – gerade anhand der Christus im Garten– Darstellung von Bartohlomäus Spranger versucht zu einer neuen Begriffsfindung zu kommen: „Denn durch die anachronistische Verwendung der Begriffe „Kopie“ und „Original“ werden die Wiederholungen der Bildidee mit einer negativen Konnotation infiziert.“ Oder um es vereinfacht auszudrücken: Das eine ist gut (Original), das andere ist böse (Kopie). Mit Begriffen wie „Wiederholung“ oder „Werkstattarbeit“ würde man die Schärfe aus der Diskussion nehmen und damit auch mehr das Kunstwerk an sich in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen rücken. Ein nobles Ziel, allerdings sehe ich eigentlich nur eine Gruppe am Horizont, denen dies in die Hände spielt: Händler und Auktionshäuser. Für beide klingt „Kopie“ schon lange unschön. Ist ja schließlich kein verkaufsförderndes Argument sein Bild abgewertet zu sehen. Der Kunsthandel ist in diesem Bereich schon immer recht kreativ gewesen, wenn es darum ging andere Begriffe zu finden um dem Käufer Sand in die Augen zu streuen, allerdings ist dies ein Thema für sich.
„Ottonormalbetrachter“wird mit diesem Begriffsstreit wohl eher wenig anzufangen wissen. Was soll er auch hinter einer „Wiederholung“ verstehen? Es klingt ja eher vielmehr als ob jemand sitzen geblieben wäre. Da ist das Wort „Kopie“ doch schon viel aussagekräftiger: kurz, knapp und deutlich sagt es aus, was man eben zu erwarten hat. Meiner Meinung nach wird der Begriff „Kopie“ daher nicht so schnell aus der Mode kommen.
Trotzdem wollen wir einmal den Versuch wagen das Bild anders zu beschreiben, nachdem wir so viel jetzt darüber in Erfahrung haben bringen können. Der Titel ist zwar lang und mag nicht begeistern, doch wer hat schon behauptet, daß Kunstgeschichte spannend ist? Also, und hier kommt der Vorschlag: Unbekannter Künstler des 17. Jh.; Kopie nach einem Stich von Johann Sedeler nach einem Vorbild von Bartholomäus Spranger.
Damit nimmt der Titel bestimmt zwei Zeilen im Katalogtext eines jeden Auktionshauses ein. Imposant auf alle Fälle, doch ob es sich durchsetzen wird? Man darf gespannt sein!