Viele Bilder sind namenlos oder auch dem falschen Maler zugeschrieben. Ein solcher Fall ist das Bild Maria mit dem Kind und Johannes d. T. des Kunsthistorischen Museums in Wien. Es wird im Onlineverzeichnis dem Florentiner Maler Franciabigo zugeschrieben. Datiert ist es auf 1518/19. Hier die Abbildung:
Bereits seit 1778 ist das Bild in Wien und wurde schon damals mit diesem Namen in die Sammlung aufgenommen. Falls Sie Franciabigio nicht kennen, dann vielleicht seinen Werkstattpartner, mit dem er sich am Anfang seiner Karriere zusammentat: Andrea del Sarto, kurzzeitig Hofmaler des Königs Franz I von Frankreich. Wir reden also hier von nicht ganz unbedeutenden Namen in der Kunstgeschichte.
Für viele hunderte von Jahren galt das Frühwerk der beiden Künstler als schwer zu unterscheiden. Zuschreibungen wanderten hin und her. Mit der Zeit wurde so alles mögliche an Bildern anderer Künstlern unter dem Namen Franciabigio zusammengefasst. Man kann sich denken zu was das führte: zu ziemlich viel Verwirrung. Susan McKillop hat daher in der Einführung zu ihrem Werksverzeichnis zu Franciabigio geschrieben, dass „sie nicht damit gerechnet habe, dass auf vier dem Künstler zugeschriebenen Bildern und fünf Zeichnungen nur jeweils eins davon tatsächlich ein Werk von ihm sei“. Nicht viel anders steht es um das vorliegende Bild. Es ist im Werksverzeichnis nicht aufgenommen. Das liegt nicht daran, dass die Autorin das Werk nicht gekannt hätte; ganz im Gegenteil. Sie führt es unter der Rubrik „zugeschriebene Gemälde“.
In der Rubrik zugeschriebene Gemälde liest sich die Kritik über das Gemälde differenziert, will sagen: Begeisterung klingt anders. Hier eine kleine Kostprobe: Sarto: Rosa inventory 1796. (…) Pontormo was refuted (…); School piece: 1907 catalog (…); copy of Sarto Holy Family, Louvre: Freedberg 1963; (…) A pastiche, as noted by Venturi. Certainly closer to the Sarto shop than to Franciabigio on the basis of color. (S.215)
Näher an Andrea del Sarto als an Franciabigio? Flugs im Werksverzeichnis zu del Sarto nachgeschaut und was entdeckt man? Dort wird es auch aufgeführt und zwar unter der Rubrik „Kopie“. Allerdings wird als Autor Franciabigio genannt, der es nach einem Vorbild del Sartos gemalt habe. Wenig, an dem man sich orientieren könnte. Selbst das Museum glaubt wohl nicht ganz an seine Zuschreibung, jedenfalls haben sie sich bei ihren Veröffentlichungen („Rosa-Inventar“, „Katalog 1907“) nicht unbedingt dafür ausgesprochen.
Wenn man das die ganze Zeit schon weiß, warum hat man beim Museum nie die Konsequenzen daraus gezogen und das Bild umbenannt? Nun, weil sich bisher wohl keiner so richtig dafür interessiert hat. Bei so viel kursierenden Vermutungen hat man sich wohl auf den Standpunkt gestellt, es so zu lassen wie es schon immer war. Ein großer Name klingt alle mal besser als wenn man ihn lediglich zu „Schule“ oder „Nachfolge“ verwässert. Es bedarf daher guter Argumente, hier etwas ändern zu wollen.
Was kann man also machen um die Zuschreibung zu präzisieren? Zuerst einmal Vorbilder dafür finden. Das ist nicht weiter schwer; hier wird man schnell bei del Sarto fündig und zwar in einer berühmten Komposition, die im Louvre aufbewahrt wird und auf die schon der Wiener Katalog von 1907 hingewiesen hat:
Von diesem Bild gibt es unzählige Kopien, die alles genau so abzubilden wie auf dem Original. Dies kann man allerdings von dem Bild in Wien nicht sagen. Im Hintergrund ist eine Landschaft eingefügt. Dazu hat man zwei Figuren einfach weggelassen. Aus einer ehemals „Heiligen Familie“ ist so eine Partie auf dem Lande entstanden, in der sich zufällig die Maria mit dem Kind und Johannes dem Täufer verirrt haben. Sprich: Trotz eines wiedererkennbaren Vorbildes ist etwas ganz anderes daraus geworden. Also doch Franciabigio, der hier kreativ tätig geworden ist?
Also noch einmal im Werksverzeichnis von Franciabigio nachschlagen und sich dessen gesicherte Bilder zum Vorbild nehmen. Und was hat er so gemalt? Nun, viele Madonnen mit Kind, aber keine die im entferntesten an die Komposition rankommt, die uns interessiert. Knieende Madonnen gibt es bei ihm jedenfalls nicht, bei ihm sitzen sie und machen höchstens einen Ausfallschritt. Damit wäre das Wiener Bild eine Ausnahme in seinem Werk. Schauen wir einmal bei del Sarto nach: Hier taucht das Motiv der knienden Madonna tatsächlich mehrmals auf. Nicht immer unbedingt als Maria, sondern gerne auch mal umgewandelt zu einer anderen weiblichen Person, wie in diesem Bild, das sich ehemals im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin befand:
Zwar mag das jetzt wie Erbsenzählerei klingen, doch wenn so etwas gehäuft vorkommt, dann scheint dahinter wohl ein System zu stecken. Die Liste der Unterschiede könnte man noch eine Weile weiterführen, wichtig ist: Franciabigio passt als Name einfach nicht zu dem Werk, während der Name Andrea del Sarto uns schon fast wie eine Leuchtreklame unübersehbar entgegenleuchtet.
Also doch ein Werk von Andrea del Sarto, aber nur verkannt? Wenn es so einfach wäre! Aber es hat ja keiner gesagt, dass Kunstgeschichte einfach ist. Denn an dieser Stelle müssen wir den Begriff der Werkstatt einführen. Warum? Bisher haben wir nicht über einen wichtigen Begriff gesprochen, den des Stils, quasi die „Handschrift“ des Künstlers. Und der passt leider nicht zum Bild. Nun ist del Sarto gerade für eine Technik berühmt geworden: das Sfumato. Wendet man diese Verschattung richtig an, erscheinen die Figuren lebhafter und variierter. Die Figuren im Wiener Bild wirken allerdings eher hölzern und steif. Das passt zu einer Hand, die entweder noch nicht zu sehr geübt ist oder es einfach nicht besser kann. Da die Komposition aber derart nahe an Vorbilder von Andrea del Sarto heranreicht, macht es eine Werkstattarbeit wahrscheinlich. Dazu gibt es auch einen entscheidenden Grund: Das Bild ist aus verschiedenen Vorlagen zusammengesetzt.
Nehmen wir die Maria mit dem Jesuskind: Beide sind identisch bis ins Detail in beiden Bildern gestaltet. Ebenso der Täufer. Wenn es allerdings um den Abstand zwischen den beiden geht, dann besteht ein Unterschied. Im Wiener Bild scheinen die Figuren viel näher aneinander gerückt worden zu sein. Wie kann das sein? Schaut man sich es genauer an, stellt man fest, dass im Louvre-Bild der Täufer nach hinten gelehnt erscheint, während er im Wiener Bild ein wenig mehr „nach oben“ gerückt wurde und nun „aufrecht stehend“ erscheint. Dies weist darauf hin, dass man hier wohl mit zwei getrennten Vorlagen gearbeitet hat. Diese Vorlagen konnten von den Werkstattmitarbeitern benutzt werden um ein Bild im Stil eines Andrea del Sarto zu malen. Der Meister musste also nicht mit Hand anlegen. Wahrscheinlich also ist das Bild für den kleinen Geldbeutel konzipiert worden, für jemanden, der sich einen „echten“ del Sarto nicht leisten konnte, aber etwas haben wollte, was so aussah. Eine Werkstattarbeit war da genau das richtige.