Was hier wie der Anfang zu einem Märchen klingt, ist die Geschichte über ein Bild, dessen Zuschreibung an ein Mitglied der Malerfamilie Carraci ebenfalls „märchenhaft“ ist. Denn eigentlich will das Bild von seiner alternativen Zuschreibung wachgeküßt werden:
Antonio Caracci 1583 Venedig – 1618 Rom. Zugeschr. Rs. Klebezettel mit mehreren gleichlautenden Gutachten von Cikorowski 1895. Alchemisten. Drei Personen um einen brennenden Kamin mit großem Instrument der Alchemie. Öl/Lwd. 51 x 64,5 cm. R
Falls Sie wegen der Dunkelheit des Gemäldes die Szenerie nicht gleich erkennen: Die Ofen steht in der Mitte des Bildes. Eine der drei kleinen Herren hat sich niedergekniet um das Feuer anzublasen, wärhend die anderen beiden Gerätschaften ihres Gewerbes herbeischaffen.
Nun liegt die Zuschreibung an Antonio Carracci schon ein wenig zurück. 1895 war nicht gerade gestern und bei so einem alten Gutachten sind durchaus Zweifel angebracht. Insbesondere wenn der ehemalige Besitzer des Bildes es sich selbst verfasst hat.
Ein Blick in den Werkskatalog von Antonio Carracci bestätigt, was man schon geahnt hat: unter seinem Namen ist keinen Hinweis auf das Bild zu finden. Bezeichnenderweise gibt es aber ein Kapitel in dem Buch welches mit „Antonio Carraci: Einige Anmerkungen über Schwierigkeiten bei der Zuschreibung“ übertitel ist. Und liest man sich das Kapitel durch, dann bekommt man den Eindruck, als ob bei seinem kompletten Oeuvre Zweifel bestehen würden.
Die Probleme bei den vielen Zuschreibungen – so die Autoren – liege in der kurzen Zeit seines künstlerischen Wirkens und den großen stilistischen Unterschieden, die sein Werk aufweist. Antonio stirbt jung, gerade mal mit 25 Jahren. Leider zu jung um ein umfangreiches Oeuvre hervorzubringen. Zwar lernt er bei seinem Onkel Annibale sein Handwerk, doch mit 18 Jahren geht er nach Rom. Er lernt er die Arbeiten von Malern wir Raffael und Guido Reni kennen, von dem er offensichtlich ziemlich angetan ist und daraus in seinen Werk ausgiebig zitiert. Und da Raffael eher „heroische“ Figuren malte und keine Alchemisten in ihren Hexenküchen, gilt das gleiche auch für Agostino, wie in diesem Bild von der Sinnflut, welches im Musée du Louvre in Paris aufbewahrt wird:
Wie man sehen kann bevorzugt Carracci eher den (männlichen) Akt mit dem man athletische Körper darstellen kann; auch wenn das Sujet grausam ist, da alle abgebildeten dem Tode geweiht sind, dann gehen sie wenigsten doch mit einem schönen Körper unter; eher das Kontrastprogramm zu unseren „Zwergen“.
Ich hoffe Sie nehmen meine flapsige Bemerkung von „Zwergen“ nicht all zu ernst, doch so falsch ist dieser Ausdruck nicht einmal. Denn der historische Wert des angebotenen Bildes liegt darin, daß in der Kunst des Barocks das „Groteske“, also Darstellungen einer verzerrten Wirklichkeit, die mißgestaltetes mit komischen Zügen verbindet plötzlich „darstellungswürdig“ wird. Zwar ist das nördlich der Alpen schon vorher gang und gäbe, doch südlich der Alpen ist dies eher eine Neuigkeit. Ein Zwerg oder eben die seltsamen Alchemisten wären vorher niemals als eigenständige Bildsujets durchgegangen. Natürlich kommt ihnen keine positive Konnotierung zu, vielmehr soll ja schon der dunkle Hintergrund ihr zweifelhaftes Gewerbe, welchem diese Herrschaften nachgehen, ja so richtig in Mißkredit bringen. Und was können Alchemisten schon sein als mißgestaltete Subjekte!
Kommen wir zur kunstshistorischen Einordnung: Bilder mit eher zweifelwürdigen Sujets tauchen um 1600 vermehrt in Bologna auf wesegen gerne auf die bologneser Malerschuler verwiesen wird. Angefangen haben eben die Carracci damit und vielleicht hat Herr Cikorowski, der das Bild Antonio zuschrieb, an dessen Vater Agostino gedacht. Denn dieser hat tatsächlich drei sehr schräge Gestalten gemalt. Das Bild befindet sich heute im Museo di Capodimonte in Neapel:
Im englischen haben diese drei Herren den Namen: „Tiny Amon, Hairy Harry and Mad Peter“ oder auf italienisch: „Arrigo Peloso, Pietro Matto e Amor Nano“ bekommen. Natürlich haben alle drei auch richtige Namen, die sich sogar überliefert haben. Als „Kuriositäten“ wurden sie am Hofe des Kardinals Odoardo Farnese in Rom regelrecht ausgestellt, wobei insbesondere „Hairy Harry“ sehr viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die Tiere im Bild wurden übrigens nicht rein zufällig gewählt, sondern sollen an bestimmte Qualitäten erinnern, die sie „menschenähnlich“ erscheinen lassen; so der Hund als bester Freund des Menschen, der Pappagei der menschliche Stimmen imitieren kann und nachplappert, was man ihm sagt; oder der Affe als unser nächster Verwandter.
Ohne das Thema vertiefen zu wollen sei noch gesagt, daß Agostinos Verwandter Annibale ebenfalls mit „grotesken“ Darstellungen – sprich mit Zwergen – experimentiert hat. Dabei handelt es sich aber nicht um lebende Personen, sondern um grotesk überzeichnete Personen. Es lag also nahe auch das vorliegende Bild mit den drei Alchemisten in Richtung „Carracci“ zu deuten. Dies reicht allerdings noch lange nicht aus, es auch wirklich dieser Malerfamilie zuschreiben zu können. Und so muß das Bild leider noch etwas länger ohne Autor bleiben und in seinem Dornröschenschlaf verharren bevor es wachgeküßt wird.