Wenn es darum geht Notnamen für Künstler zu erfinden, dann ist die Kunstgeschichte recht einfallsreich gewesen. Meistens wird ein Notname nach dem Inhalt eines Bildes benannt, wie der „Meister der Enthauptung des Johannes“ oder „Meister der Verkündigung Linsky„;  es geht aber auch anders, wobei vor allem die Italiener recht erfindungsreich gewesen sind. Mein Lieblingsnotname ist „Amico friulano del Dosso„, also „Der friulanische Freund des Dosso“. Klingt doch gut einen Freund gehabt zu haben, der auch gemalt hat. Weniger auf Du und Du klingt da schon der Notname des „Pensionante del Saraceni„, was übersetzt soviel heißt wie „Saracenis Kostgänger“. Klingt wie ein armer Kerl, der als Untermieter mehr recht als schlecht über die Runden gekommen ist. Vielleicht hat das Auktionshaus van Ham daher auch lieber das Bild nur unter dem Namen Saraceni verkauft und den Rest einfach weggelassen:

 

 

Bild: Van Ham Kunstauktionen, Köln

 

CARLO SARACENI

um 1580 Venedig – 1620 Venedig

 (…) Das vorliegende Gemälde, das sich seit mehreren Jahrzehnten in einer deutschen Privatsammlung befindet, reiht sich in die kleine Gruppe der Werke auf Kupfer mit der Darstellung des büßenden Petrus ein und wird damit zur vierten bekannten Fassung. Die hohe Qualität der Ausführung lässt vermuten, dass das Gemälde von Carlo Saraceni selber in den Jahren 1618-1620 und nicht von einem seiner Schüler ausgeführt wurde.

 

Jetzt kann man natürlich sagen: Sind das nicht Spitzfindigkeiten; wenn schon drei Fassungen bekannt sind und diese alle übereinstimmend Carlo Saraceni bzw. der Werkstatt zuerkannt werden, warum kann dann nicht auch Nr.4 von ihm stammen? Oder ist das Bild nicht gar das Vorbild für all die anderen, so gut wie es ist?

 

Nun, die Kunstgeschichte lebt von Spitzfindigkeiten und es ist – wenn man sich zumindest ernsthaft mit Bildern beschäftigt – die Aufgabe des Kunsthistorikers Licht in das Dunkel der Bilderwelt zu bringen. Die Unterschiede herauszuarbeiten und damit das Geflecht der Kunst weiter zu verfeinern. Natürlich ist das eine hoffnungslose Aufgabe und gerade über angebliche Unterschiede lässt sich trefflich streiten. Kein Wunder, daß man darüber seit knapp 80 Jahren debatiert, inwiefern es diesen „Pensionante del Saraceni“ denn überhaupt wirklich gibt (Roberto Longhi, Ultimi studi su Caravaggio e la sua cerchia, „Proporzioni“, I, 1943, S.5-63).

 

Fangen wir daher bei einem Maler an, den es ohne Zweifel gegeben hat, also bei Carlo Saraceni. Saraceni ist zwar in Venedig geboren, doch hat er seine Ausbildung dort nicht absolviert, sprich: Seine Bilder sind überhaupt nicht venezianisch. Sein großes Vorbild war Caravaggio, an dem er sich ein Leben lang orientiert hat. Also ein Maler, der dem Realismus wie kein anderer Italiener vor ihm gehuldigt hat. So ziemlich der größte Gegensatz, den man sich zur venezianischen Malereitradition vorstellen kann. Was darunter gemeint ist, dazu soll die Darstellung ein wenig genauer unter die Lupe genommen werden.

 

Aus Ermangelung einer bessern Vorlage des „Büßenden Petrus“ muß daher die 2017 in Wien versteigerte Werkstattkopie des Bildes herhalten,  doch sie reicht vollständig aus um zu zeigen, wie sie sich von dem bei van Ham versteigerten Kunstwerk stilistisch absetzt:

 

Bild: Dorotheum, Wien

Caravaggio arbeitet gerne mit scharfen Kontrasten zwischen hell und dunkel gehaltenen Partien. Dies hat zur Folge, daß eine Szene damit einen gewissen dramatischen Effekt bekommt. Dies hat sich auch Saraceni auf die Fahnen geschrieben. Und hier sieht man die hell erleuchtet Stirnpartie, das ins Licht getauchte Gesicht, die verschattete Nackenpartie, die deutlich zwischen dunkel und hell geteilte Hälften des Bildes unterscheidet.

 

Schauen wir uns hingegen das Bild, welches bei Van Ham versteigert wurde, einmal genauer an, dann kann man entdecken, daß der Maler es geradezu vermeidet die Übergänge zwischen hell und dunkel herauszuarbeiten. So hat er es sogar ganz vermieden die Schulter- und Armpartie in ein helles Licht zu tauchen. Die Werkstattkopie hingegen hat sich an ihr Vorbild gehalten; die Übergange zwischen Dunkel und Hell sind deutlicher definiert. Woher ich das weiß? Nun, die anderen bekannten Kopien weisen diese stilistische Eigenart ebenfalls auf. Damit hat sich der Autor des van Ham Bildes nicht ganz an die Vorlage gehalten und seine eigenen Gedanken miteingebracht. Hat man sich so ein wenig eingesehen, dann fällt auf, daß der Autor auch einige andere Partien verschattet hat und somit die Übergänge zwischen hell und dunkel nicht genau definiert werden. Auch benutzt er Licht und Schatten um damit die Umrisse des Kopfes zu modellieren, wobei dies zugegebener Maßen auch daran liegt, daß wir es hier einfach mit einem wesentlich besseren Maler zu tun haben. Und trotzdem: Gerade, daß diese sanften Übergänge überhaupt gewählt werden und auch die Farben wesentlich gedämpfter sind als bei der Werkstattkopie, spricht schon für eine ganz andere malerische Ausbildung.

 

Und das bringt uns zu „Saracenis Kostgänger“: Ein Bild, über welches einigermaßen Einigkeit besteht, daß es diesen Maler überhaupt geben könnte, ist der sog. „Obstverkäufer“; und wenn man ihn sich so ansieht, dann fällt einem der Kopf des Mannes und seine prominent in Szene gesetzte Nase auf. Irgendwie erinnert sie an die von Petrus, insbesondere was auch den diskret auf die Nase gesetzten weißen Fleck angeht. Auch sind die einzelnen Strähnen des Bartes nicht voneinander zu unterscheiden, sondern bilden eher ein unidentifizierbares Ganzes. Ganz im Gegensatz übrigens zu der Werkstattkopie, die sich abmüht jedes Barthaar einzeln zu zeigen, auch wenn das irgendwie nicht ganz hinhaut. Sprich: Die Gemeinsamkeiten zu Werken des „Pensionante del Saraceni“ sind nicht zu übersehen.

 

 

Bild: Detroit, Insitute of Arts, gift of Edsel B. Ford; Wikimedia commons

 

„Saracenis Kostgänger“ wird übrigens als französischer Maler identifiziert. Irgendwie hatte Saraceni ein faible Franzosen in seiner Werkstatt zu beschäftigen. Ein anderer Maler, Giovanni Baglione, schreibt über Saraceni und sein faible für alles französische: „Dieser hatte stets gute Laune, und wollte sich daher stets nach der französischen Mode kleiden, obwohl er nie in Frankreich gewesen war und auch kein Wort in dieser Sprache artikulieren konnte.“ Tja, wohl dem, der als Maler einen Freund hat!